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🕑 8:54 Min. | Von Fee-Jasmin Rompza | Zum Produkt

Ich hatte wirklich viele berufliche Pläne in meinem Leben. Oder sagen wir besser: vage Ideen. Eine davon war Holzspielzeugmacherin im Erzgebirge. Kein Scherz. Als sich mein ursprünglicher „Plan“, als Comiczeichnerin bei Disney zu Weltruhm zu gelangen, mit 20 Jahren plötzlich zerschlug, griff ich mir den telefonbuchdicken, grün broschierten Ratgeber zur Berufswahl, der damals jede*r Schulabsolvent*in mit dem Zeugnis in die Hand gedrückt wurde, und las ihn von vorn bis hinten durch. Und neben Restauratorin, Bühnenbildnerin und Luft- und Raumfahrttechnikerin landete eben auch jener Handwerksberuf oben auf meiner Liste, der parallel zum Erlöschen des Bergbaus im äußersten Osten des Landes bereits vor Hunderten Jahren seine Anfänge nahm. Doch obgleich ich das Herstellen und vor allem das händische Bemalen der typisch Seiffener Holzfiguren als ausgesprochen meditative und meiner perfektionistischen Ader entgegenkommende Tätigkeit einschätzte, hielt sich mein Bedürfnis, meinen Lebensmittelpunkt dauerhaft in ein, sagen wir, recht traditionelles und geschlossenes Setting fernab von zu Hause zu verlegen, doch in eng gesteckten Grenzen. Ich strich diese Option also von meiner Liste. Die Faszination für Holzkunst aus dem Erzgebirge jedoch blieb.

Wer die Wahl hat. Oder: das Gefühl von Weihnachten
Nun, genau genommen war sie schon lange vorher dagewesen. Sie ist quasi ein Erbstück, das mir meine Mutter vermacht hat. Seit ich denken kann, sammelte meine Mutter Figuren aus dem Erzgebirge. Kleine musizierende Engel hauptsächlich, von denen wir gemeinsam jedes Jahr aufs Neue auf dem Weihnachtsmarkt sorgsam ein weiteres Exemplar aussuchten. Ich habe ein grauenhaftes Gedächtnis und mangelnde bildliche Vorstellungskraft, aber die Erinnerungen an diese winterlich-weihnachtlichen Ausflüge meiner Kindheit – die nach Honigmilch und Germknödel schmeckten, die nach der Mischung aus Tannenzweigen und städtischen Abgasen, gelöst im dreckigen Schnee einer Ruhrgebietsgroßstadt, dufteten und deren weihnachtlich-wuselige Klänge, von Kinderkarusselllärm durchzogen, noch heute in meinen Ohren klingeln – sind ebenso gut erhalten wie jene Engel, die auch heute elf Monate lang in einer Vitrine an der Wand hängen und nur im Advent, sorgsam zu einem Orchester aufgereiht, an vorderster Front für weihnachtliche Stimmung in meinem Elternhaus sorgen. Eine Stimmung, die sich auch mit Mitte vierzig immer noch nach Kindheit anfühlt, nach Geborgenheit, Wärme und Licht im Dunkeln.

Zwar nicht in gleicher Menge vorhanden, aber für meine kindliche Erinnerungslandschaft ebenso prägend waren vor allem die großen erzgebirgischen Exponate: der Schwibbogen mit Bergbaumotiven, die mit viel Vorsicht zu behandelnde Spieluhr, das dauerinhalierende Räuchermännchen und eben unsere beiden Nussknacker, ein Bergmann und ein Soldat – Exponate, deren Auswahl aufgrund von Größe und Preis eine fast noch größere Aufmerksamkeit und Detailliebe zukam als derjenigen der musizierenden Miniaturen. Denn was, neben der perfekten handwerklichen Ausführung, die absolute Priorität für meine Mutter hatte, war die Entscheidung für das eine Modell mit dem subjektiv ansprechendsten Gesichtsausdruck.

Die Geschichte des Nussknackers. Im Schnelldurchlauf
Treten wir einen Schritt nach hinten und schauen von meiner persönlichen Familiengeschichte auf die des Nussknackers zurück. Überspringen wir dabei Aristoteles, der vermutlich als Erster das Hebelprinzip als hilfreiches Vehikel beim Öffnen von Nüssen entdeckte, und auch die mutmaßliche Anfangszeit der figürlichen Nussbeißer im 16. Jahrhundert, als unter anderem Heinrich VIII. seiner zweiten Frau Anne Boleyn einen solchen schenkte, bevor er sie nur wenig später einen Kopf kürzer machen ließ, was aber inhaltlich weniger eng zusammenhing als räumlich in diesem Text. Wenden wir uns also direkt gen Erzgebirge, wo laut Überlieferung Friedrich Wilhelm Füchtner aus Seiffen 1870 den Prototyp des noch heute verbreiteten Nussknackers, wie wir ihn auch bei Manufactum führen, erschuf. Zugegeben, in den drei Jahrhunderten, seit Renaissance-Tudor Heinrich mit Geschenken und Todesurteilen um sich warf, waren schon so einige Nussknacker über europäische Verkaufstheken gegangen, aber sie waren in der Regel handgeschnitzt und erst der flächendeckende Einsatz des Drechselns, wie er in der Holzkunst des Erzgebirges üblich ist, kombiniert mit der Darstellung von Figuren der Obrigkeit, allen voran der rot gewandete König, gab ihnen in Form und Farbe das Erscheinungsbild, das wir heute klassischerweise im Kopf haben.

Ach, und da waren ja noch die zwei Hoffmanns. E. T. A. einerseits, der romantische Schriftsteller des beginnenden 19. Jahrhunderts, der in Bezug auf seine Vornamen die Beschränkung auf ein Höchstlevel hob und gleichzeitig in seinem Werk mit Phantasterei und Komplexität nur so um sich warf. E. T. A. gab dem Nussknacker, hier in Form eines Husaren, im Weihnachtsmärchen „Nussknacker und Mäusekönig“ 1816 erstmals eine große Bühne, nachdem dieser sich bereits im Kleinen als Spielzeug in den Kinderzimmern der gehobenen Haushalte der damaligen Zeit einen Namen gemacht hatte. Vierzig Jahre später sprang dann Heinrich, nicht der Achte, sondern eben auch Hoffmann, seines Zeichens berühmt-berüchtigter Autor des Struwwelpeters, auf den Nüsse knackenden Zug auf und schenkte der Welt ebenfalls ein Weihnachtsmärchen mit dem Titel „König Nussknacker und der arme Reinhold“. Und schaut man sich die Illustrationen dieses Buches an, ähnelt der namensgebende Nussmonarch schon sehr dem Füchtner’schen Phänotyp, der jedoch erst zwanzig Jahre später das funzelige Licht seiner Seiffener Geburtsstätte erblickte. Aber wir wollen nicht kleinlich sein.

Mit Biss. Von innewohnender Häme und nach außen gerichteten Gefühlen
Schauen wir lieber noch genauer hin. Nämlich den zähnefletschenden Gestalten mitten ins handbemalte Gesicht. Es ist der Legende nach kein Zufall, dass die stilbildenden Urtypen aus dem Erzgebirge überwiegend Respektspersonen und ihre Söldner darstellten: Vor allem Könige, Soldaten, Polizisten und Förster bekamen hier vom einfachen Volk harte Nüsse zum Knacken hingeworfen. Die Häme gegenüber der Obrigkeit wurde liebevoll in jeden der gebleckten Zähne gepinselt. Nussknacker als holzgewordene Karikaturen im beginnenden Zeitalter des Imperialismus quasi. Hätte Heinrich VIII. das schon geahnt, hätte er vielleicht eher den Nussknacker als seine Frau unters Fallmesser gelegt. Oder halt auch beide. Er war da ja nicht so zimperlich.

Die freiliegende Kauleiste mit erstaunlich gepflegten Zähnen ist auch heute noch das hervorstechende optische Merkmal des gemeinen Nussknackers aus dem Erzgebirge. Aber welchen emotionalen ersten Eindruck er hinterlässt, ist doch sehr stark von der Interpretation der Werkstatt und der Hand des pinselführenden Künstlers abhängig. Denn mit der Kombination aus Mundform, Schwung der Augenbrauen, geometrischer Anlage der Augen, Sitz des Lichtpünktchens in der Pupille und sogar der Krümmung des Schnauzbartes lassen sich derart viele Gemütszustände transportieren, dass jeder Psychologiestudent seine helle Freude daran hätte. Die grimmig-funkelnden Urväter sind zwar noch hier und da erkennbar, aber blättert man durch den Katalog des aktuell verfügbaren erzgebirgischen Nussknacker-Œuvres, sind da vor allem auch erschrocken dreinblickende Kandidaten, ängstlich wirkende Exemplare, zerknirschte Zeitgenossen oder betretene Bittsteller, die den Blick schamvoll senken.

Hallo! Du gefällst mir
Der König aus der 1932 gegründeten Manufaktur Erzgebirgische Volkskunst Richard Glässer, den wir bei Manufactum im Sortiment führen, wäre einer, der meiner Mutter gefallen würde, glaube ich. Seine abfallende Oberlippe und sein gutmütiger Blick, die ihm für mein Empfinden ein entschuldigend gemeintes „Ups“ in den Mund legen, lassen ihn eher in den Hintergrund treten, statt bärbeißig um Aufmerksamkeit zu buhlen. Er würde sich perfekt einfügen in eine kindlich-warme Erinnerungskulisse voller Freude und familiärer Traditionen. Vielleicht muss ich ihn für meine kleine Familie anschaffen, denn meine Hand wird ein solches Prachtstück in diesem Leben nicht mehr erschaffen. Aber auch über zwei Jahrzehnte nach meiner kurzzeitigen Kunsthandwerksphantasie bin ich immer noch fasziniert davon, wie Menschen nur mit Augenmaß etwas produzieren können, was an Präzision mit automatisierter, industrieller Herstellung mithalten und gleichzeitig so viel Individualität und Ausdruck transportieren kann.

Natürlich wäre dieser mein persönlicher Nussknacker nur Dekoration, denn nachdem ich einmal gesehen habe, wie die berstende, harte Schale einer Nuss Holz und Lack in der knackenden Mundhöhle zu malträtieren vermag, und dabei den Schmerz dieses Holzkameraden geradezu körperlich spürte, würde ich den Teufel tun, dieses kleine Kunstwerk seiner namensgebenden Bestimmung zuzuführen. Zum Glück kaufe ich meine Haselnüsse ja bereits geknackt und geröstet bei Manufactum. Win-win, würde ich sagen. Und: „Lass das Knacken!“

Produkt im Fokus

Nussknacker

Heimisches Ahorn-, Buchen- und Lindenholz aus nachhaltiger Forstwirtschaft · Überwiegend von Hand gefertigt · Hergestellt in Seiffen, einem Zentrum der Volkskunst des Erzgebirges

CHF 249.00

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