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Gutes aus Klöstern
Terroir. Kloster Neustift
Einst verboten, nun gepriesen: Wie ich den Kerner auf seinem Terroir entdeckte
Als ich am 1. Juli 1987 meinen Auftrag als Stiftsverwalter begann, inspizierte ich so ziemlich als erstes die Weinkellerei. Kellermeister Hans Sigmund empfing mich sehr freundlich und erklärte mir voller Freude, daß alle Weinfässer schon leer seien und alles schon abgefüllt sei. Bis auf ein kleines Faß (2.000 l); da wäre ein „verbotener“ (nicht zugelassener) Wein drinnen.
Auf meine Frage, worum es sich handele und ob ich den Wein kosten dürfe, erklärte mir Hans, daß er den Wein gerne mit mir verkosten möchte und denselben ja deshalb extra aufbewahrt habe. Beim Wein handle es sich um den Kerner, eine Kreuzung zwischen Riesling und Trollinger, welche 1929 in Weinsberg gezüchtet wurde und eigentlich für tiefe, fast flache Lagen in Deutschland gedacht war. Dort ging die Sache aber sehr schlecht aus, da man in diesen grundsätzlich schon schlechten Weinbaulagen die Kerner Rebstöcke mit viel zu hohen Mengen belastete und daher ein Wein mit sehr bescheidener Qualität, nämlich nur Verschnittweinqualität, entstand.
So war ich denn auch ein wenig verwundert, daß er gerade diesen Wein aufbewahrt hatte, und meine Erwartungen waren nicht gerade enthusiastisch. Aber dann kosteten wir den Neustifter Kerner, und ich war hin und weg von seiner Frische, Frucht und Rasse. Wie konnte das nur möglich sein? Nun, im Gespräch mit Hans ging mir auf, was zu dieser überraschenden und hohen Qualität den Ausschlag gab: Die steilen Lagen, das Bergklima mit den starken Temperaturschwankungen zwischen Tag und Nacht, die armen, leichten Gletschermoränenböden im Eisacktal rund um das Kloster und die sehr niedrigen Erträge bringen die Eigenschaften dieser Sorte erst richtig zur Entfaltung.
Für mich war es ein grandioser Einstieg in meine neue Arbeit für das Stift. Wir informierten uns nun näher über die speziellen Ansprüche des Kerners und erfuhren über seine besondere Winterhärte. Dies war für unser Gebiet natürlich besonders interessant, da dasselbe ja das nördlichste Anbaugebiet von Italien ist, die Weinberge zudem sehr hoch liegen (600 bis 900 m) und somit die Temperaturen im Winter sehr niedrig sein können und auch immer wieder große Schäden an den Reben hervorrufen.
Hier braucht es wirklich eine besonders kernige Rebe. Um die Neustifter Besonderheiten wirklich zu verstehen, muß man bis in die Eiszeit zurückgehen. Damals türmte sich auch im Wipp- und Eisacktal ein bis zu 1.000 m starkes Eismassiv auf, welches auf seiner ganz gemächlichen, aber unaufhaltbaren Reise talabwärts eine Unmenge an Gesteinsmaterial von den Mutterfelsen abhobelte, zermalmte, vermischte und
die so entstandenen Geröllmassen vor sich herschob und an den Hängen hochdrückte. Als am Ende der Eiszeit die Gletscher schmolzen, kamen verschiedenste Formationen zutage. So entstand auch der Brixner Talkessel, wo das Geschiebe eine besonders geschützte Arena bildet, nach Süden offen, gegen Norden abgeschirmt, mit durchwegs steilen Hängen und schottrigen, leicht erwärmbaren Böden.
Hier entwickelte sich ganz nahe des Alpenhauptkammes – der Brenner ist in Luftlinie nur ca. 30 km entfernt – ein Mikroklima, in dem die Weinrebe überleben und bei Einhaltung bestimmter „Spielregeln“ sich sogar sehr gut entfalten kann. Jedenfalls bemühten wir uns sofort um die entsprechenden behördlichen Zulassungen und testeten und studierten zugleich die Sorte vor Ort. Gute Lagen hat sie natürlich auch gerne, aber ihre Trümpfe spielt sie ganz speziell dort aus, wo sich im Winter die Kälte staut; denn die Triebe des Kerners verholzen ca. einen Monat früher als diejenigen aller anderen Sorten, und so ist auch die Widerstandsfähigkeit gegen Kälte bedeutend höher. Nach der DOC-Anerkennung 1992 (Südtiroler Eisacktaler Kerner DOC – QbA) ging es Schlag auf Schlag. Der Wein bestach bei Verkostungen in aller Herren Länder, entpuppte sich als sehr flexibler Essensbegleiter, kann viele Jahre reifen und ist heute die am meisten ausgezeichnete und nunmehr auch mengenmäßig wichtigste Sorte unseres Hauses. Gezüchtet für die Ebene, hat der Kerner seine wahre Heimat, sein eigentliches Terroir jedoch hoch oben am Berg gefunden.
Urban von Klebelsberg, Verwalter des Augustiner-Chorherrenstiftes Neustift, Südtirol.
Der Neustifter Mikrokosmos
Am Kloster Neustift beginnen die Weinberge auf 600 m und klettern bis fast 900 m hinauf. Hier herrscht ein Klima, das für die fruchtbetonten Weißweinsorten wie geschaffen ist. Sie fühlen sich hier sehr wohl, denn sie mögen es grundsätzlich nicht zu heiß und brauchen das Wechselspiel zwischen warmen Tagen und kühlen Nächten.
Dadurch entwickeln sich die Aromen besonders gut, und die anregende Säure bleibt auch erhalten. Komplex ist die Abstimmung Sorte und Lage.
Denn kaum ändert sich die Ausrichtung, die Hangneigung oder die Höhenlage eines Weinberges, verändert sich das Mikroklima so sehr, daß nur durch einen Sortenwechsel die Potentiale dieser Kleinstlagen optimal genutzt werden können. Ein gutes Beispiel dafür ist der Weinberg hinter der Neustifter Stiftskirche, wo auf einer Oberfläche von circa nur 5.000 m² vier verschiedene Sorten angebaut werden: Im tiefsten Teil, wo sich hinter der Klostermauer im Winter viel kalte Luft sammelt, steht der Kerner, der besonders frostresistent ist. Gleich anschließend hangaufwärts, in der windgeschütztesten Lage, befindet sich der gegen Winterwind sehr empfindliche Sylvaner. Im steilsten und wärmsten Hang gedeiht der sonnenhungrige Gewürztraminer.
Der Pinot Grigio fühlt sich in Lagen, wo es dem Sylvaner ein bißchen zu windig ist, so richtig wohl. Er ist nämlich sehr dichtbeerig, und im Herbst ist es daher sehr wichtig, daß der Morgentau so schnell als möglich „abgeföhnt“ wird, sonst besteht erhöhte Fäulnisgefahr. So soll er nicht zu dicht an steilen, windgeschützten Hängen stehen. Die größte Pinot-Grigio-Fläche befindet sich daher südlich des Stiftes, gleich hinter der Kellerei.
Architektursymbolik. Der Makrokosmos.
Eigenwilligste Fluchtpunkte und Sinnlinien führen den Besucher und Pilger stufenweise in die Welt des Brixener Chorherrenklosters Neustift. Seit 1142 ist dieser ungewöhnliche Klosterbau im Tal des Eisack zu dem gewachsen, was uns heute noch fasziniert. Einige Schritte vor dem Kloster ist der Gast schon da angekommen, wohin das Sehnen des mittelalterlichen Menschen ging, soweit Irdisches in Rede stand: in Rom, dem Haupt des ganzen Erdkreises. Wie das? Indem ihn eine zwar kleine, aber unverkennbare Nachbildung des Castel Sant’ Angelo, der Engelsburg, empfing und noch empfängt.
Über dem Eingang dieses trutzigen, ehemaligen Pilgerhospizes prüft der Erzengel Michael auf der Waage der Gerechtigkeit die Seelen: sicherlich eine Aufforderung zu innerer Prüfung und Vorbereitung. Doch war dies dem späteren Barockmenschen mit seinem kosmisch-emblematischen Denken offenbar nicht genug. Davon zeugt der achteckige Brunnen im Prälatenhof. Die Zwickel seines Baldachins sind ausgemalt mit den Darstellungen der Sieben Weltwunder. Natürlich durfte die achte Bildfläche nicht leer bleiben.
Was lag da näher, sie mit einer Ansicht des Klosters selbst zu schmücken, und das nicht ohne Sinn: auf der gegenüberliegenden Seite finden wir eine Darstellung der Hängenden Gärten Babylons! Und so wurde der Brunnen auch ausgeführt, als mirakulöser, nach innen verlagerter Makrokosmos, voller Selbstbewußtsein, doch zugleich mit spielerischen Nuancen. Wer nun die Prälatur durchschreitet, findet sich unvermittelt vor der Basilika wieder und erlebt eine weitere Erhebung von Seele und Geist, über das Irdische hinaus in die Geistigkeit des Gotteshauses. In seiner barocken Ausstattung ist es angefüllt von unzähligen sinnfälligen Metaphern des Übersinnlichen. Aber auch hier ist die Neustifter Welt noch nicht zuende.