Die Wiener Kaffeehauskultur. Betont traditionell
Die Wiener waren nicht die Ersten, die Kaffee tranken, und ihre Kaffeehäuser waren auch niemals die einzigen. Trotzdem gibt es keine Stadt auf dieser Welt, die so sehr mit dem Wort Kaffeehaus verknüpft war und heute noch ist wie die österreichische Hauptstadt. 2001 wurde die Wiener Kaffeehauskultur sogar von der UNESCO als Immaterielles Kulturerbe ausgezeichnet. Im Rahmen der Eröffnung unseres ersten österreichischen Warenhauses in Wien werfen wir einen Blick auf die Dinge, die das Wiener Kaffeehaus zu einer echten Institution mit Wiedererkennungseffekt und zu einem Muss für jeden Wien-Touristen machen.
Die Einrichtung
Ein traditionelles Wiener Kaffeehaus zeichnet sich (zumindest seit dem 19. Jahrhundert, vorher handelte es sich eher um reizlose, düstere Lokalitäten) durch eine Reihe von wiederkehrenden Merkmalen aus, von denen nicht alle zutreffen müssen, die meisten jedoch sehr charakteristisch sind. Da sind einerseits die Marmortischchen, rund oder eckig, dann die Bugholzstühle, die auch als Kaffeehausstühle bekannt wurden, und oft als Ergänzung: plüschige oder zumindest weich gepolsterte Sitzlogen, kleine Séparées mit einem Hauch Privatsphäre.
Essenziell ist auch der Zeitungstisch, auf dem nationale und auch internationale Periodika in hölzernen Zeitungshaltern ausliegen – Billardtische, Schach oder Kartenspiele ergänzen in einigen Häusern das Unterhaltungsangebot. Große Spiegel an den Wänden, Bugholzkleiderständer und teils üppige Lüster sind ebenfalls weit verbreitet. Wer die Möglichkeit hat, bietet auch draußen Sitzgelegenheiten an, selbst wenn es sich nur um drei kleine Tischchen handelt: „Schanigarten“ heißt diese spezifisch österreichische Form der Außengastronomie.
Die Kaffeespezialitäten
Wer heute ein Wiener Kaffeehaus besucht, tut das nicht nur, um die traditionell-historisierende Atmosphäre aufzusaugen, sondern vor allem auch, um eine der zahlreichen Kaffeespezialitäten zu genießen, mit denen sich die Wiener vom internationalen Kaffeeeinerlei abheben.
Während es heute unzählige Variationen mit teils kreativen Namen gibt, bestellte man in den Anfangstagen offenbar noch anhand einer Farbpalette von Schwarz bis Milchig-Weiß. Jeder Kaffee (der in Wien übrigens unbedingt auf der zweiten Silbe betont werden will) wird mit einem Glas Wasser auf einem silbernen Tablett serviert und unterscheidet sich vom jeweils anderen durch Zugabe oder Weglassen von (Schlag-)Obers (was nichts anderes ist als Sahne), Milch(-Schaum), Zucker und Spirituosen in bestimmter Menge und Schichtungsreihenfolge.
Serviert wird wahlweise in unterschiedlich großen Schalen (bei uns: Tassen) oder (Henkel-)Gläsern. Basis fast all dieser Spezialitäten ist übrigens ein Wiener Mokka, ein kleiner, schwarzer Kaffee, der ursprünglich oft aus einer Seihkanne kam. Heute allerdings ist die Espressokultur auch schon lange in Wien eingezogen und so entspricht die Herstellung eines Mokka oftmals weitgehend dem italienischen Pendant. Je nachdem, wen man fragt, wird der Mokka aber mit etwas mehr Wasser zubereitet, zieht etwas länger und wird zudem traditionell mit stärker gerösteten Bohnen der Mokka-Varietät gebrüht. Alle Spezialitäten aufzuzählen, würde den Rahmen sprengen, hier allerdings ein paar der gängigsten und kreativsten inklusive ihrer üblichen Zusammensetzung:
- Kleiner und großer Schwarzer: Einfacher oder doppelter Mokka.
- Verlängerter (Schwarzer): Mokka, der mit heißem Wasser aufgegossen wird.
- Kleiner und großer Brauner: Einfacher oder doppelter Mokka, der mit Obers oder Milch in einem separaten, winzig kleinen Kännchen serviert wird. Das Mischungsverhältnis obliegt dem Gast.
- Kapuziner: Einfacher Mokka, der mit ein paar Tropfen flüssigem Obers serviert und teils noch mit Schlagobers gekrönt wird. Seine Farbe soll an die Kutte eines Kapuzinermönchs erinnern.
- Einspänner: (Verlängerter) Mokka mit üppiger Schlagobershaube (dem sogenannten „Gupf“), serviert im Henkelglas. So konnte er vom Kutscher einspänniger Pferdefuhrwerke einhändig konsumiert werden und blieb dank der dicken Sahneschicht lange warm.
- Wiener Melange: Kaffee oder verlängerter Mokka, der mit der gleichen Menge ganz leicht aufgeschäumter Milch in der Schale serviert wird.
- Kaffee verkehrt: Ein Drittel Mokka, ein Drittel Milch und ein Drittel Milchschaum, im Glas serviert – vergleichbar mit dem Latte macchiato.
- Franziskaner: Eine Melange, statt mit Milchschaum mit Schlagobershaube, in der Schale serviert.
- Fiaker: Doppelter Mokka im Glas mit viel Zucker und 1-2 cl Sliwowitz oder Rum, gekrönt mit Schlagobers.
- Kaisermelange: Mokka, der mit verschlagenem Eidotter, Honig (oder Zucker) und Cognac serviert wird, teilweise auch mit Obers.
- Überstürzter Neumann: Schlagobers, der in einer Schale mit einem doppelten Mokka „überstürzt“ wird.
- Maria Theresia: Mokka mit Orangenlikör, mit Schlagobers im Henkelglas serviert.
Die Geschichte
Hartnäckig hält sich bis heute die Legende, das erste Wiener Kaffeehaus sei von Georg Franz Kolschitzky, einem polnischen Dolmetscher und Geschäftsmann, gegründet worden, der sich während der Türkenbelagerung hinter feindliche Linien schlich, Informationen beschaffte und dafür mit Kaffeebohnen belohnt wurde. Eine schöne Geschichte, die aber leider nur zur Hälfte stimmt. Kolschitzky war zwar Kundschafter, aber niemals Kaffeesieder. Vielmehr wurde das erste lokale Kaffeehaus vom armenischen Handelsmann (und späteren Spion) Johannes Diodato gegründet, der 1685 vom Wiener Hof für zwei Jahrzehnte die sogenannte „Hoffreiheit“ erhielt, quasi eine Schankerlaubnis von höchster Stelle. Schnell entpuppten sich die Wiener als echte Kaffeefans – die Zahl der Kaffeehäuser stieg zunächst langsam, bald aber schon immer rascher. 100 Jahre später waren es 70, weitere 40 Jahre später 150 und um 1900 gab es 600 der Lokalitäten, die sich bereits im 19. Jahrhundert als die Kulturorte der österreichischen Metropole schlechthin etabliert hatten und nun, um die Jahrhundertwende, ihre Blütezeit als Literatencafés erlebten.
Die Gäste
Der Kaffee allein war es indes nicht, der den Ruf der Wiener Kaffeehäuser begründete. Es war vor allem auch das Publikum, das die Kaffeehäuser als zweites Zuhause okkupierte und zu einem Ort der Kommunikation, des Austausches und der Arbeit machte – vor allem seit Mitte des 19. Jahrhunderts. Egal ob private, politische, geschäftliche oder kulturelle Themen, alle wurden sie hier verhandelt. Künstler wie Musiker, Literaten, Architekten und Schauspieler, aber auch Wissenschaftler, Juristen und Politiker – jede Gruppe hatte ihre bevorzugte Lokalität. Einige Stammgäste, allen voran Peter Altenberg, dem im Café Central sogar ein Denkmal gesetzt wurde, trieben es gar so weit, dass sie „ihr“ Café als Postadresse angaben, telefonisch dort erreichbar waren und Gäste empfingen. Dabei waren es bis Mitte des 19. Jahrhunderts nur Männer, die in den Kaffeehäusern verkehrten. Erst seit 1856 war der Zutritt auch Frauen erlaubt – erst beschränkten sie sich darauf, als Begleitung aufzutreten, später hatten sie eine Zeit lang eigene, separierte Salons. In Schulden stürzen mussten sich die Gäste für ihre Langzeitaufenthalte übrigens nicht: Mit der Bestellung eines einzigen Kaffees erkaufte man sich bereits das Recht, so lange zu bleiben, wie man wollte.
Das Personal
Ein wesentliches Element der Atmosphäre im Kaffeehaus bildet(e) das Personal. Einerseits ist da der (Ober-)Kellner, der unbedingt mit „Herr Ober“ angesprochen werden möchte und traditionell Smoking trägt. Früher stand ihm noch der Piccolo zur Seite, ein (junger) Hilfskellner, der dafür zuständig war, Tische und Stühle auszustellen und den Gästen Wasser nachzugießen. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts war die einzige Dame im Kaffeehaus die Sitzkassiererin, die hinter der oft verglasten Kasse oder dem Buffet saß, und nicht nur Zucker ausgab und natürlich kassierte, sondern auch als Flirtobjekt der Gäste fungierte.